Kündigung bei Insolvenz des Vertragspartners: Ist diese zulässig?
Eine hierzu getroffene Vereinbarung kann beispielsweise lauten: Der Auftraggeber ist berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grunde fristlos zu kündigen. Als wichtiger Grund gilt es, wenn der Auftragnehmer zahlungsunfähig geworden ist, über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren beantragt oder eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt worden ist.
Bezeichnet wird eine derartige Regelung als sogenannte insolvenzabhängige Lösungsklausel.
I. Unterschiedliche Interessenlage
In der Insolvenz seines vertraglichen Gegenübers möchte sich jeder so schnell wie möglich von diesem wieder lösen können, um den Schaden im eigenen Unternehmen in Grenzen zu halten.
Dieser Interessenlage eines Vertragspartners eines insolventen Unternehmens steht die Interessenlage des Insolvenzverwalters des insolventen Unternehmens gegenüber. Sein Ziel ist es, für die Insolvenzmasse wirtschaftlich sinnvolle Verträge fort- bzw. zu Ende zu führen. Hierzu gibt ihm die Insolvenzordnung in § 103 InsO ein Wahlrecht, wonach er entscheiden kann, welche noch nicht auf beiden Seiten erfüllten Verträge er fortführen möchte oder nicht.
Dieses Wahlrecht liefe ins Leere, wenn das Insolvenzereignis zum Recht auf Kündigung auf der Gegenseite führen würde. Infolgedessen gibt es eine Regelung in § 119 InsO, die wie folgt lautet: „Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103-118 ausgeschlossen oder beschränkt sind, sind unwirksam. „
Vor dem Hintergrund des § 119 InsO stellt sich die Frage: Sind insolvenzabhängige Lösungsklauseln und damit das beispielhaft erwähnte Kündigungsrecht, das an das Insolvenzereignis anknüpft, wirksam oder nicht?
II. Kriterien der Wirksamkeit
Der Bundesgerichtshof hatte hierzu bisher keine abschließende Entscheidung getroffen. Erfolgt ist sie nunmehr im Urteil vom 27.10. 2022 (Az. IX ZR 213/21).
Dieser Entscheidung zugrunde lag ein Vertrag über eine Busbeförderung von Schülern. Über das Vermögen des Busunternehmers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. In dem Beförderungsvertrag war die Eingangs benannte Regelung zur Kündigung vereinbart worden. Aufgrund dessen kündigte der Vertragspartner den Vertrag. Der Insolvenzverwalter hielt diese Kündigungsregelung nach § 119 InsO für unwirksam und beanspruchte die vereinbarte Vergütung unter Anrechnung ersparter Aufwendungen bis zum vertraglich vereinbarten Ende des Beförderungsvertrages.
Der Bundesgerichtshof beantwortet die Frage der Wirksamkeit wie folgt: Insolvenzabhängige Lösungsklauseln sind unwirksam, wenn es für sie keinen rechtfertigenden Grund gebe. Es müsse daher für insolvenzabhängige Lösungsklauseln ein sachlicher Grund bestehen, der ihnen einen anderen Charakter verleihe als nur das Ziel zu erreichen, sich der gesetzlichen Regelung der § 103 ff. InsO (grundsätzlich bestehen Verträge in der wirtschaftlichen Krise fort) zu entziehen. Es dürfe nicht die primäre Intention sein, die Risiken einseitig auf die zukünftigen Insolvenzgläubiger zu verlagern.
Der Bundesgerichtshof führt sodann Beispiele auf, unter denen ein derartiger sachlicher Grund für eine insolvenzabhängige Lösungsklausel und damit deren Wirksamkeit vorliegen könne:
1. Rechtssicherer Ausgestaltung des Lösungsgrundes
So könne eine derartige Klausel dazu dienen, die Frage des Kündigungsgrundes rechtssicher auszugestalten. Es könne damit abschließend geregelt werden, worin ein wichtiger Grund zur Kündigung liege, um einen Streit darüber zu vermeiden, ob alleine ein Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung und die damit eintretenden Veränderungen im konkreten Einzelfall die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes erfüllen.
2. Risikoerhöhung durch Insolvenz des Vertragspartners
Wenn die Insolvenz eines Vertragspartners zu einer Risikoerhöhung für den anderen Vertragspartner führe, könne dies eine insolvenzabhängige Lösungsklausel rechtfertigen. Beispielhaft werden in dem Urteil folgende Aspekte hierfür benannt:
- Wenn die Zuverlässigkeit des Schuldners eine erhebliche Bedeutung für die weitere Leistungserbringung habe. Dies gelte beispielsweise für den Bauvertrag, hinsichtlich dessen eine Kündigung aus dem Grunde der Insolvenz als gerechtfertigt angesehen wird.
- Oder wenn der Gläubiger damit rechnen müsse, dass die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen für die weitere Leistungserbringung des Insolvenzschuldners nicht ausreichend gesichert erscheine.
- Oder wenn der Gläubiger ein Interesse an zusätzlichen Leistung des Schuldners -etwa Wartungsleistungen- habe, die nicht mehr gesichert erscheinen.
3. Insolvenzrechtlich gesicherte Zielsetzung der Sanierung
Derartige Lösungsklauseln seien auch dann wirksam wenn der Vertrag -mit einer solchen insolvenzabhängigen Lösungsklausel- als Teil einer Sanierung des Schuldners zustande komme und die Klausel dazu diene, die Risiken des Scheiterns der Sanierung abzumildern. An dieser Stelle wird auf eine Entscheidung des BAG (NZI 2007, 58) Bezug genommen. Dort wurde über eine insolvenzbezogene auflösende Bedingung eines Änderungsvertrages entschieden, in der eine Arbeitnehmerin der Herabsetzung ihrer Arbeitszeit zugestimmt hatte, wobei sie im Falle des Eintrittes der Insolvenz wieder vollzeitbeschäftigt sein sollte. Die Wirksamkeit dieser Regelung wurde bejaht.
4. Kündigung aus wichtigem Grunde ist gesetzlich zugelassen
Auch wird eine Lösungsklausel bei Verträgen als wirksam bewertet, für die das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund zulasse und eine typisierte Interessenlage vorläge, bei der die mit der Insolvenz einhergehenden Risiken die weitere Vertragserfüllung so stark gefährdeten, dass unabhängig vom Einzelfall ein wichtiger Grund hierdurch vorliege.
5. Negativ-Beispiel: Lösungsklauseln zugunsten Geldleistungsgläubigern sind regelmäßig unwirksam
Und auch ein negatives Beispiel benennt der Bundesgerichtshof: Lösungsklauseln zugunsten eines Geldleistungspflichtigen sind regelmäßig unwirksam, soweit sie den gesetzlichen Rahmen überschreiten. Begründet wird dies damit, dass die Risiken hierbei regelmäßig darin bestünden, dass er mit seiner Gegenforderung auf Geldleistung ausfalle, d.h. Geld nicht erhalte. Hinsichtlich dieses Risikos sei er gesetzlich (ausreichend) geschützt, indem er nach § 320 BGB die Einrede des nichterfüllten Vertrages geltend machen könne.
III. Resümee
Was bedeutet diese Entscheidung des Bundesgerichtshofes für die praktische Anwendung? Kann unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung ein Kündigungsrecht, das an ein Insolvenzereignis anknüpft, wirksam vereinbart werden?
Diese bis zu dieser Entscheidung strittige Frage ist insofern vom BGH beantwortet,
- als dass Gläubiger mit dem Anspruch auf Geldzahlung derartige insolvenzbedingte Kündigungsrechte nicht wirksam vereinbaren können;
- und es im übrigen ein insolvenzbedingtes Kündigungsrecht geben kann-aber nur in den Fallgruppen und damit den Konstellationen, die der Bundesgerichtshof in seinem vorerwähnten Urteil erwähnt.
Der Grundgedanke, der hinter diesen Fallgruppen steht lautet: Es gibt
- entweder die Sanierungsbemühung, aufgrund dessen eine derartige Regelung vereinbart wirksam vereinbart werden kann,
- oder ein über ein übliches Insolvenzszenario hinausgehendes Risiko des Vertragspartners der späteren insolventen Unternehmung, die zu dieser insolvenzbedingten Lösung vom Vertrag berechtigt.
An dieser Stelle liegt die Schwierigkeit in der Umsetzung darin, dass letztendlich jedes Insolvenzereignis mit einem Risiko für das nicht insolvente Gegenüber verbunden ist. An dieser Stelle wird es, wenn eine insolvenzabhängige Lösungsklauseln in den Vertrag aufgenommen wird, daher erforderlich sein,
- Zum einen die Fallgruppe/Konstellation konkret zu benennen, aufgrund derer gemäß BGH eine insolvenzbedingte Lösungsklausel wirksam möglich sein kann;
- Und im Übrigen (und das dürfte der wesentliche Aspekt hierbei sein) die Risikolage, die über das übliche insolvenzbedingte Risiko hinausgeht, lebensnah und konkret zu begründen.
Und generell zusammengefasst bedeutet dieses Urteil des Bundesgerichtshofes: Insolvenzbedingte Lösungsklauseln sind möglich. Eine konkrete Begründung hierfür ist in den Vertrag aufzunehmen.
Soweit Sie zu dieser Thematik Fragen und Anmerkungen haben, melden Sie sich gerne unter lange@dhk-law.com oder telefonisch über meine Mitarbeiterin, Frau Gecer, unter der Telefonnummer 0241/94621-138.
Carsten Lange
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Wirtschaftsmediator (DAA)