Die Haftung nach § 64 GmbHG bleibt für Geschäftsführer gefährlich

Zu diesem Ergebnis muss man kommen, wenn man das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 04.07.2017 (Az. II ZR 319/15) liest. Es betrifft ein Klageverfahren eines Insolvenzverwalters gegenüber einem director einer englischen Gesellschaft, die eine Niederlassung in Deutschland hatte. Auch auf diesen findet die Regelung nach § 64 GmbHG entsprechend Anwendung. Der Gesetzestext in § 64 GmbHG lautet wie folgt:

„Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht für Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind.“

Der Grundsatz dieser Rechtsnorm lautet also, dass ein Geschäftsführer einer GmbH zum Ersatz aller Zahlungen verpflichtet ist, die nach Eintritt der Insolvenzreife erfolgen und die er damit in dieser Funktion als Geschäftsführer veranlasst hat. Diese Haftung ist kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch, sondern ein Ersatzanspruch eigener Art. Damit stellt sich die Frage, mit welcher Begründung und in welchem Umfange dieser Anspruch gegenüber dem haftenden Geschäftsführer beschränkt sein kann. Die Antwort auf diese Frage wiederum muss sich am Zweck dieser Rechtsnorm orientieren. Hierzu hat der Bundesgerichtshof in dem vorerwähnten Urteil ausgeführt, dass das Ziel dieser Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG der Schutz der Gläubigergemeinschaft vor einer Benachteiligung durch eine Verminderung der Aktivmasse und damit der Vermögenswerte der GmbH sei.

Aufgrund dieses Zieles entfällt die Ersatzpflicht des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 GmbHG, wenn die durch die Zahlung verursachte Verringerung der Vermögensmasse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. Denn in dieser Situation ist der Zweck von § 64 GmbHG, die Aktivmasse zu erhalten, erfüllt und bedarf es aufgrund dessen keiner zusätzlichen Zahlungen des Geschäftsführers zum Ausgleich.

Damit stellt sich die Frage, wann eine Gegenleistung vorliegt, durch die die infolge der Zahlung eingetretene Masseschmälerung ausgeglichen ist. In dem Sachverhalt, der dem vorerwähnten Verfahren vor dem Bundesgerichtshof zu Grunde liegt, behauptete der klagende Insolvenzverwalter, die Schuldnerin sei spätestens seit dem 1. September eines Jahres zahlungsunfähig gewesen. Er verlangt vom beklagten Geschäftsführer die zwischen dem 14. September und dem 9. Dezember von der Insolvenzschuldnerin erfolgten Zahlungen erstattet, die an die Stadtwerke, ein Telekommunikationsunternehmen und die Angestellten für Gehälter erfolgten. Der beklagte Geschäftsführer wendet diesbezüglich ein, dass infolge der Gegenleistung in Form von Strombezug, Arbeitsleistung und Telefonnutzung in die Masse eine Gegenleistung gelangt sei und aufgrund dessen ein Haftungsanspruch nach § 64 GmbHG nicht bestehe.

Diese Argumentation verneint der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 04.07.2017. Er begründet dies damit, dass nur eine Gegenleistung, die für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sei, die infolge der Zahlung eingetretene Masseverkürzung ausgleichen könne. Das sei bei Arbeits- oder Dienstleistungen und auch bei Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen nicht der Fall. Hierdurch werde die für die Gläubiger verwertbare Aktivmasse nicht erhöht und damit seien diese Gegenleistungen kein Ausgleich der Masseschmälerung durch die Zahlung.

An dieser Stelle kann man als Leser dieses Urteils bei wirtschaftlicher Bewertung sicherlich auch anderer Ansicht sein. Und es verbleibt dann noch die Hoffnung für den beklagten Geschäftsführer, dass er sich ja noch auf die Regelung in § 64 S. 2 GmbHG berufen könne. Danach hat er keinen Ersatz für Zahlungen zu leisten, die von ihm nach der Insolvenzreife mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes erbracht werden. Hierzu findet man in der Kommentierung (z.B. Baumbach/Hueck-Haas, § 64 GmbhG Rn. 91) die Ausführung, wonach Zahlungen während der 3-Wochenfrist des § 15 a InsO bei realistischer Sanierungschance zu Gunsten des Geschäftsführers privilegiert sind, soweit diese Zahlungen zur Sicherung des Unternehmens erbracht werden. Namentlich benannt werden die Begleichung von laufenden Strom-, Lohn- und Mietschulden.

Der Bundesgerichtshof führt in seinem Urteil vom 04.07.2017 (Rz. 21) hierzu aus:

„Dass die Bezahlung der Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen durch die Schuldnerin erforderlich war, um einen sofortigen Zusammenbruch eines auch in der Insolvenz sanierungsfähigen Unternehmens zu verhindern, und die Zahlung daher nach § 64 S. 2 GmbHG zur Abwendung eines größeren Schadens für die Gläubiger entschuldigt wäre, ist nicht festgestellt und nicht ersichtlich.“

In diesem Zusammenhang ist die zeitliche Komponente des Sachverhalts zu berücksichtigen, wonach die Insolvenzschuldnerin am 1. September zahlungsunfähig gewesen sein soll und Zahlungen vom Geschäftsführer ab dem 14.09.2009 und damit innerhalb der 3-Wochenfrist zurückgefordert werden.

Nach meiner wirtschaftlichen Bewertung kann ein Unternehmen nicht ohne Strombezug, Telekommunikation und zur Verfügung stehende Mitarbeiter fortgeführt werden. Aufgrund dessen ist es aus dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise nicht nachvollziehbar, warum die Bezahlung derartiger Leistungen durch die Schuldnerin zur Vermeidung der Einstellung ihres Geschäftsbetriebes nicht ersichtlich sein soll. Möglicherweise stellt der Bundesgerichtshof hierbei – wie in dem vorerwähnten Zitat aus dem Urteil vorgetragen – auf eine Ursächlichkeit zwischen Nichtzahlung und „sofortigem Zusammenbruch“ des Unternehmens ab. Da es in jedem Vertragsverhältnis Mahnungen und Kündigungen gibt und bedarf, bevor die Gegenleistung nicht mehr erbracht wird, kann es letztendlich in den drei Wochen nach der Insolvenzreife durch Nichtzahlung nie zu einem sofortigen Zusammenbruch eines Unternehmens kommen.

Unter dieser Prämisse gäbe es die Privilegierung zu Gunsten des Geschäftsführers nach § 64 S. 2 GmbHG faktisch nicht.

Die Erkenntnis für Geschäftsführer aus diesem vorerwähnten Urteil ist, dass jedwede Zahlung auf erhaltende Dienstleistungen, die nach dem Zeitpunkt der Insolvenzreife erfolgt, letztendlich den Umfang der Geschäftsführerhaftung nach § 64 GmbHG erhöht. Hierin liegt ein eklatantes Risiko, das es zu berücksichtigen gilt und das im Widerspruch zu dem Umstand steht, dass 2/3 der Insolvenzanträge zu spät gestellt (Bitter, Röder, ZInsO 2009, 1283, 1287) werden.

Wenn Sie zu dieser Thematik weitere Fragen haben, melden Sie sich gerne telefonisch über meine Mitarbeiterin Frau Kalem unter der Telefonnummer 0241-94621-138 oder per E-Mail unter lange@daniel-hagelskamp.de.

Carsten Lange

Fachanwalt für Insolvenzrecht
Wirtschaftsmediator
Coach