Prolog
Ein Insolvenzereignis ist immer mit verschiedensten, auch emotionalen Aspekten verbunden. Zum finanziellen Schaden, der entstanden ist, kommt bei vielen die Scham hinzu, „versagt“ zu haben, gescheitert zu sein. Mancher Schuldner sieht hingegen die Schuld grundsätzlich bei anderen. Die einen wollen aus Fehlern lernen und streben einen Neuanfang an, andere stecken den Kopf in den Sand.
All das sind Themen, die – offen ausgesprochen oder unausgesprochen im Raum stehend – auftauchen, wenn es zur Insolvenz kommt, wenn also unbezahlte Schulden angewachsen sind oder es mehr Schulden als Vermögen gibt. Und über allem steht die Frage: Wie soll es weitergehen?
Wie erlebe ich dies als Insolvenzverwalter und als Berater von Gläubigern und Schuldnern? Das möchte ich in unregelmäßigen Tagebucheintragungen schildern. Selbstverständlich gebe ich damit keine realen Einzelfälle wieder, doch die Beispiele zeigen, welche Tücken und Überraschungen ein Insolvenzverfahren mit sich bringen kann.
Für wen schreibe ich dies? Ich möchte zum einen denjenigen, die sich für dieses Berufsfeld interessieren, einen Einblick in die Materie geben. In der Presse werden nur die Großverfahren thematisiert, doch der Anteil der Firmen mit über 100 Mitarbeitern, die sich in der Insolvenz befinden, liegt bei nur acht Prozent der eröffneten Prozesse. Mit anderen Worten: 92 Prozent der Insolvenzverfahren betreffen kleine Firmen und Privatpersonen. Hier spielt sich das insolvenzrechtliche Leben in all seinen Facetten ab.
Und zum anderen: Von belastenden Dingen im Leben betroffen zu sein, kann einsam machen, da man nur sehr ungern oder gar nicht darüber sprechen möchte – wenn überhaupt, dann nur im Familienkreis. Und an dieser Stelle kann es vielleicht helfen, wenn jemand beim Lesen dieser Eintragungen feststellt, dass er mit seiner Situation nicht alleine ist. Sie kommt viel öfter vor, als die Betroffenen meist denken.
Carsten Lange
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Steuerrecht
Mediator / Wirtschaftsmediator (DAA)
Coach
Telefon +49 241 94621-138
E-Mail: lange@insolvenzberatung.pro
Eintragungen
8. April 2024
Prahlen gegenüber der Bank
Die Bank eines Schuldners ruft an, dessen Insolvenzverwalter ich bin: Ob wir denn wüssten, dass der Schuldner in Italien mehrere Ferienwohnungen besäße und vermiete? Dies habe der Schuldner mehrfach seinem Bankberater gegenüber erwähnt.
Dieser Sachverhalt ist uns nicht bekannt. Ich hake beim Schuldner nach und warte gespannt auf seine Antwort. Ich könnte mir vorstellen, dass er Besitz und Vermietung von Ferienwohnungen abstreitet; es stünde dann die Aussage des Bankberaters gegen seine. In diesem Fall könnte der Schuldner vor das Insolvenzgericht zitiert werden, um sich zu dem Sachverhalt unter Eid zu äußern. Ein Meineid wird dabei von der Gerichtsbarkeit mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr geahndet – in der oft, aber nicht immer berechtigten Hoffnung, dass unter Eid die Wahrheit gesagt wird.
In der Zwischenzeit sitze ich am Schreibtisch und frage mich: Was hat sich der Schuldner denn dabei gedacht, die Ferienwohnungen mir gegenüber unerwähnt zu lassen, in der Bank aber mit seinem Besitz zu prahlen?
17. April 2024
Ein abgemeldetes Gewerbe heißt noch nichts
Wer früher selbstständig war, seine Geschäftstätigkeit zum Zeitpunkt einer Insolvenz aber bereits aufgegeben hat, kann grundsätzlich als Privatperson ein sogenanntes Verbraucherinsolvenzverfahren einleiten – im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren, das bei noch laufendem Geschäftsbetrieb zur Anwendung käme.
Der Schuldner muss dazu beim Insolvenzgericht einen vollständigen und plausiblen Antrag auf Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens, auch IK-Verfahren genannt, einreichen. Im nächsten Schritt erfolgt dann gegebenenfalls die Bestellung eines Insolvenzverwalters.
Wenn ich nun als Insolvenzverwalter in einem solchen IK-Verfahren bestellt bin, gehe ich natürlich davon aus, dass es eben keinen laufenden Geschäftsbetrieb mehr gibt – denn ansonsten hätte der Schuldner ja die falsche Verfahrensart beantragt.
An dieser Stelle gibt es dann immer wieder Überraschungen. So erhielten wir einmal die Mitteilung der Rentenversicherung, dass man das Gewerbe eines unserer Insolvenzschuldner prüfen möchte. Besagtes Gewerbe kannten wir nicht. Eine Nachfrage beim Schuldner ergab, dass er es in der Vergangenheit als Geschäftsinhaber betrieben, inzwischen aber abgemeldet habe.
Die zugehörige Adresse liegt ganz in der Nähe, sodass es möglich ist, dort einmal vorbeizuschauen. Und es stellt sich heraus: Dort befindet sich nicht nur weiterhin ein Geschäftsbetrieb – der vermeintlich ehemalige Inhaber ist sogar anwesend und arbeitet augenscheinlich mit.
Es wird nunmehr in Erfahrung zu bringen sein, auf Grundlage welcher Vereinbarungen der Insolvenzschuldner seine Geschäftstätigkeit denn aufgegeben haben will. Die Fortsetzung folgt an dieser Stelle ...
26. April 2024
Briefwechsel mit einer Großbank
Die Aufgabe eines Insolvenzverwalters ist es, sich einen Überblick über die Vermögensverhältnisse der insolventen Gesellschaft zu verschaffen. Als Grundlage dafür sollte in erster Linie die Buchhaltung dienen. Diese besteht allerdings bisweilen ausschließlich aus ungeordneten und unvollständigen Belegen, die in einen Karton geräumt worden sind. Ein solcher Karton wurde neulich bei uns im Büro abgegeben.
In diesen Fällen müssen wir bei den kontoführenden Banken die entsprechenden Umsatzübersichten anfordern, um den Zahlungsverkehr, der in der Vergangenheit erfolgt ist, überprüfen zu können. Freunde macht man sich mit diesen Anfragen bei Banken nicht, schließlich bürdet man ihnen damit „lästige“ Mehrarbeit auf.
Gegenüber einer Großbank bat ich nun also um die Übersendung dieser Umsatzübersichten und erhielt nach vier Erinnerungen die schriftliche Mitteilung, dass keine Forderungen aus der Geschäftsbeziehung bestünden. Mit meinem konkreten Anliegen hatte das natürlich gar nichts zu tun.
Immerhin stand auf diesem Antwortbrief eine Telefonnummer – nicht die eines Callcenters – und ich hatte das Glück, an einen hilfsbereiten Mitarbeiter zu geraten. Er erklärte mir, dass irgendeine Stelle dieser Bank sehr viele Schreiben mit seiner Telefonnummer versenden würde und er gar nicht wisse, was in diesen Schreiben stehe. Er könne den Schriftwechsel auch nicht einsehen. Also habe ich ihm nun alles an seine persönliche E-Mail-Adresse gesandt und hoffe, in ihm einen Ansprechpartner gefunden zu haben.
Meine Frage, ob dieses Schreiben, das ich erhalten habe, von einer KI erstellt wurde, blieb indes von ihm unbeantwortet. Diese Frage werden wir uns wohl zukünftig öfter stellen müssen, und es wird die Kommunikation nicht erleichtern.
7. Mai 2024
Bestehen bleibende Kreditsicherheiten sind ein Pulverfass
Die Beratung eines unserer Mandanten ergab sich aus einer Problematik, mit der dieser vor einigen Jahren konfrontiert war. Er wollte damals seine Gesellschaftsanteile an einem Unternehmen verkaufen, für dessen Firmenkredite er in der Vergangenheit Kreditsicherheiten hinterlegt hatte. Die Bank war nun nicht bereit, auf diese Sicherheiten zu verzichten. Denn neue, ebenfalls werthaltige Kreditsicherheiten konnten weder vom neuen Gesellschafter noch von der Gesellschaft selbst angeboten werden.
Dies ist keine seltene Situation, und in Zeiten des jetzt anstehenden Generationswechsels und der damit verbundenen Suche nach Nachfolgern für Unternehmensinhaber oder nach neuen Gesellschaftern wird sich das Problem immer häufiger ergeben.
Damit der bisherige Gesellschafter vollständig aus dem Unternehmen ausscheiden kann, benötigt er nicht nur jemanden, der seine Gesellschaftsanteile erwirbt, sondern derjenige muss auch die eingebrachten Kreditsicherheiten ablösen können. Und für diese Ablösung braucht er wiederum die Zustimmung der Bank. Verkäufer und Käufer können dies nicht nur unter sich vereinbaren.
Was macht man in einer derartigen Situation? Letztendlich gibt es nur zwei Alternativen: Entweder man verkauft nicht und macht weiter, weil die Kreditsicherheiten nicht abgelöst werden (können). Oder man riskiert es, die Gesellschaftsanteile trotz bestehender eigener Sicherheiten abzugeben, und vereinbart, dass diese zukünftig abgelöst werden müssen oder der Erwerber eine Verpflichtung zur Freistellung hierzu eingeht.
Wählt man zweitere Option, entsteht ein Pulverfass, das in dem Augenblick explodiert, in dem die Gesellschaft, die die Kredite aufgenommen hat und deren Anteile der Gesellschafter veräußert hat, in die Insolvenz fällt. Denn dann lösen sich dessen Ansprüche auf Freistellung und Rückgabe in Schall und Rauch auf, da sie nicht mehr werthaltig sind.
Die Ausgangsposition ist letztlich ein Dilemma – oder, wie der Duden dieses definiert: eine „Zwangslage, Situation, in der sich jemand befindet, [...] wenn er zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen oder unangenehmen Dingen wählen soll oder muss“.
3. Juni 2024
Abtauchen ist auch in Deutschland möglich
Neben Insolvenzanträgen, die ein Schuldner selbst stellt, gibt es die sogenannten Fremdanträge. Sie erfolgen mehrheitlich durch Krankenkassen und das Finanzamt. Wenn ein solcher Antrag beim Insolvenzgericht eingeht, beauftragt dieses einen Gutachter mit der Feststellung der wirtschaftlichen Situation und der Beantwortung der sich hieraus stellenden insolvenzrechtlichen Fragen. Zu prüfen ist beispielsweise, ob tatsächlich ein Insolvenzgrund vorliegt, oder auch, ob Aussichten auf Fortführung des verschuldeten Betriebs bestehen.
Ich erhielt vor einiger Zeit einen derartigen Gutachterauftrag. Die Insolvenzschuldnerin war selbstständig tätig gewesen und hatte neue unternehmerische Ideen. Der Insolvenzantrag versetzte sie in eine Situation, der sie nicht gewachsen war, weil sie die zu erwartenden Folgen nicht überblicken konnte.
Wenn der Mensch angegriffen wird, hat er drei Möglichkeiten: zurückschlagen, fliehen oder Tod stellen. Die Schuldnerin entschied sich für eine Mischung aus letzteren beiden Reaktionen, indem sie einfach nicht mehr erreichbar war. Ihre Wohnung gab sie auf; eine neue Adresse meldete sie dem Einwohnermeldeamt nicht. Dem Insolvenzgericht bleibt dann noch die Option, bei der Deutschen Rentenversicherung zu erfragen, ob die betreffende Person dort sozialversicherungsrechtlich gemeldet ist. Letztlich blieben alle Versuche, sie ausfindig zu machen, ohne Erfolg.
Gänzlich abzutauchen, ist auch in Deutschland noch möglich. Hilfreich war es letzten Endes für die Schuldnerin nicht, denn es hätte eine deutlich bessere Alternative gegeben: Wenn man in der Vergangenheit als Einzelunternehmer tätig war und hieraus nicht beglichene Verbindlichkeiten verblieben sind, kann man den Fremdantrag nutzen, um einen Eigenantrag auf Insolvenzeröffnung in Verbindung mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen. Dies ist eine Chance für einen Neuanfang – oder zumindest für einen sauberen Abschluss mit der Vergangenheit.
12. Juni 2024
Einmal im Jahr Auskunft erteilen
Im Grunde ist es nicht schwer, als Insolvenzschuldner die Verpflichtungen zu erfüllen, an die eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren geknüpft ist. Hierfür muss unter anderem ein Wechsel des Wohnsitzes oder der Arbeitsstelle mitgeteilt werden, auch Erbfälle sind dem Insolvenzverwalter anzuzeigen.
Die drei Jahre bis zur möglichen Restschuldbefreiung umfassen die Zeit des Insolvenzverfahrens sowie die sogenannte Wohlverhaltensperiode. Dies ist die Phase zwischen der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und dem Ende der dreijährigen Frist seit dessen Eröffnung.
In diesem Zeitraum schreiben wir in unserem Büro die Insolvenzschuldner einmal im Jahr an und bitten sie um Auskünfte zu ihrer wirtschaftlichen Situation. Dazu stellen wir ihnen ein einseitiges Formblatt zur Verfügung, auf dem sie die notwendigen Angaben vornehmen können. Jeden Monat muss ich mehr als 20 Erinnerungen an Schuldner senden, die uns keine Rückantwort übermittelt haben.
In nicht wenigen Fällen ist unsere Tätigkeit von der eines Sozialarbeiters nicht weit entfernt. Denn die Gründe für die Insolvenz sind nicht immer nur rein wirtschaftlicher Natur – die meisten Betroffenen sind mit der Erledigung der Bürokratie, die immer komplexer geworden ist, schlichtweg überfordert. Wenn man sich das Formular anschaut, das zur Stellung eines Insolvenzantrags für natürliche Personen auszufüllen ist, ahnt man, dass nur die wenigsten dies ohne fremde Hilfe bewältigen können.
Einmal im Jahr eine Auskunft zu erteilen, bleibt daher für viele, die sich in der sogenannten Privatinsolvenz befinden, eine Verpflichtung, der sie augenscheinlich nicht alleine gewachsen sind. Und es sei abschließend erwähnt, dass unser Formular vergleichsweise einfach auszufüllen ist.
25. Juni 2024
Erhalt von Coronakrediten: Bedenke das Ende
In Coronazeiten war es offenbar nicht schwer, von der öffentlichen Hand sogenannte Coronakredite zu erhalten. Dies war einerseits hilfreich, da Unternehmen auf diese Weise kurzfristig finanzielle Engpässe beseitigen und den Betrieb aufrechterhalten konnten.
Wenn mit diesen Mitteln jedoch Immobilien erworben wurden und bei der Kreditvergabe auf Sicherheiten verzichtet worden ist, stellt sich die Frage, ob man hier aufseiten der öffentlichen Kreditgeber nicht handwerklich besser hätte arbeiten können. Denn es sind schließlich öffentliche Gelder, die herausgegeben wurden, sodass eine gewisse Sorgfalt bei der Entscheidung und Umsetzung zu erwarten gewesen wäre.
Auf der Seite der Kreditnehmer wiederum war in vielen Fällen die Hemmschwelle zur Beantragung des Geldes augenscheinlich ebenso gering wie das Bewusstsein für das damit einhergehende Risiko – das Risiko, den Kredit nach der tilgungsfreien Zeit, die gewährt wurde, möglicherweise nicht mit Zins und Tilgung bedienen zu können. Dementsprechend nimmt bei uns die Beratung von Unternehmen, die die von ihnen aufgenommenen Coronakredite nicht zurückzahlen können, aktuell stark zu.
Und an dieser Stelle wird die Situation für Firmen in der Rechtsform der GmbH und der AG noch dadurch erschwert, dass es den Insolvenzgrund der Überschuldung gibt. Ist die Fortführungsprognose negativ, weil der Zins- und Tilgungsdienst innerhalb der Prognosefrist (aktuell vier Monate) nicht erbracht werden kann, und besteht eine rechnerische Überschuldung, dann liegt faktisch ein Insolvenzgrund vor. Es besteht dann die Pflicht zum Insolvenzantrag.
Die Überschuldung ist ein Insolvenzgrund, der oft nicht im Bewusstsein der Geschäftsführer verankert ist. Dies birgt das Risiko der Geschäftsführerhaftung, die dann greift, wenn der Insolvenzantrag zu spät gestellt wird und damit eine Insolvenzverschleppung vorliegt. „Bedenke das Ende“ ist ein auch für diese Situation passender Grundsatz.
3. Juli 2024
Zukünftige Schadensersatzverpflichtungen eines Handwerksbetriebs: ein Damoklesschwert
Wenn ich in einem Insolvenzeröffnungsverfahren als Gutachter bestellt werde, übersendet mir das Gericht zunächst die entsprechende Insolvenzakte. Damit liegt mir vor oder parallel zu einem Gespräch mit dem Schuldner der Insolvenzantrag vor. Handelt es sich um einen sogenannten Fremdantrag von einer Krankenkasse oder dem Finanzamt, enthält der Antrag keine ausführlichen Angaben zum schuldnerischen Unternehmen. Anders verhält es sich bei einem Eigenantrag. Zu diesem sind Geschäftsführer einer GmbH verpflichtet, sobald ein Insolvenzgrund für das Unternehmen besteht.
Ich erhielt einen Gutachterauftrag in einem Verfahren, das auf dem Eigenantrag des Geschäftsführers einer Handwerks-GmbH basierte. Dem Antrag war Folgendes zu entnehmen: Kurz vor Antragstellung war die Person des Geschäftsführers ausgetauscht und der Sitz der Gesellschaft verlegt worden. Als Insolvenzgläubiger wurden vormalige Vertragspartner angegeben, die aus einem Bauvorhaben Schadensersatzansprüche wegen mangelhafter Werkleistung geltend gemacht hatten. Das Urteil, wonach der Handwerksbetrieb zur Zahlung verpflichtet wurde, lag nur kurze Zeit zurück. Zuvor hatte der Rechtsstreit einige Jahre gedauert.
Die Vermutung lag nahe, dass der einstige Geschäftsführer eine Verurteilung befürchtet und sich deshalb aus der ersten Reihe zurückgezogen hatte. Auch der Geschäftssitz sollte nicht mit einem zukünftigen Insolvenzereignis in Verbindung stehen. Der Insolvenzantrag wurde letztlich erst gestellt, als das Urteil auf Schadensersatz rechtskräftig war.
Diese Konstellation ist für diejenigen, die Werkleistungen erbringen, wie etwa Handwerksunternehmen, nicht unbekannt. Klagen aufgrund geltend gemachter Mängel sind nicht selten, und bei jedem dieser Gerichtsverfahren muss der Geschäftsführer abwägen, ob die erhobenen Ansprüche berechtigt sein könnten. Ist dies der Fall, stellt sich sodann die Frage, welches finanzielle Risiko hieraus erwachsen kann.
In dem Zusammenhang ist § 249 HGB zu beachten, der GmbHs dazu verpflichtet, für ungewisse Verbindlichkeiten Rückstellungen zu bilden. Diese Rückstellungen sind erforderlich, wenn mehr Gründe für als gegen den Eintritt eines bestimmten Risikos sprechen. Das bedeutet, dass es für den geschäftsführenden Gesellschafter äußerst riskant sein kann, während eines Prozesses das abschließende Urteil abzuwarten. Denn bereits im Prozessverlauf, zum Beispiel aufgrund gutachterlicher Bewertungen, kann sich diese Wahrscheinlichkeit von 51 Prozent oder mehr ergeben – was unmittelbar die Verpflichtung zu Rückstellungen auslöst. Dies führt dann zu der Frage einer insolvenzrechtlichen Überschuldung, woraus wiederum die Geschäftsführerhaftung resultieren kann. Genau in dieser Reihenfolge spielte sich auch das betreffende Verfahren ab. An dieser Stelle wäre ein schnelleres Handeln in Form eines früheren Insolvenzantrags für den Geschäftsführer der Handwerks-GmbH hilfreich gewesen.
11. Juli 2024
Start-ups: Die Sanduhr der Liquidität läuft
... oder um es in Anlehnung an die Fußballsprache zu formulieren: Nach der erfolgreichen Investorensuche ist vor der nächsten notwendigen Investorensuche.
In unserer Praxis beraten wir immer häufiger Geschäftsführer von Start-up-GmbHs, die sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, welchen insolvenzrechtlichen Pflichten sie unterliegen. Denn viele junge Unternehmen erfahren derzeit leidvoll, dass das Geld bei den potenziellen Investoren nicht mehr so locker sitzt wie in den vergangenen Jahren.
Eine dieser Beratungen betraf ein Start-up, dessen aktuelle Bilanz auf der Passivseite lediglich Eigenkapital und Darlehen, die mit einer Rangrücktrittserklärung versehen waren, als Quelle der erhaltenen Zahlungen auswies. Folglich war zu diesem Zeitpunkt eine rechnerische Überschuldung nicht möglich. Allerdings reichten die finanziellen Mittel nur noch für einige Monate, und verbindliche Zusagen von Investoren für die Zeit danach gab es noch nicht.
Bedeutet eine solche Situation nun, dass die Geschäftsführung zu einem sofortigen Insolvenzantrag verpflichtet ist, oder ist es gegebenenfalls zulässig, erwartbare künftige Zuschüsse bereits in die Liquiditätsplanung einzubeziehen?
Als Anhaltspunkt kann hier beispielsweise der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 9. Februar 2022 dienen, den wir auch im vorliegenden Fall zugrunde gelegt haben. Demnach muss nicht zwingend ein rechtlich gesicherter, mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit durchsetzbarer Anspruch auf weitere Finanzierungsmittel bestehen, um diese in die Planung einstellen zu können. Aber es muss ausreichend begründet sein, dass man sich als Geschäftsführung auf den Erhalt zukünftiger finanzieller Mittel verlassen kann. Außerdem müssen die Bedingungen erfüllt sein, die der betreffende Investor an die zu erwartende weitere Gewährung knüpft.
Für die Geschäftsführung des Start-up-Unternehmens war es daher wichtig, regelmäßig zu prüfen, ob die vor-genannten Voraussetzungen noch gegeben sind, und sich zum jeweiligen Verhandlungsstand und der eigenen Bewertung hierzu laufend Aktenvermerke zu notieren und abzuspeichern. Denn nur auf diese Weise kann später, falls die Fortführung doch nicht gelungen sein sollte, begründet dargelegt werden, warum man von der positiven Fortführungsprognose damals ausgehen durfte.
31. Juli 2024
Gleicher Zugang zum Recht: Ist er im Insolvenzrecht gewährleistet?
Ein Beispiel: Sie sind selbstständig tätig und möchten einen Insolvenzantrag stellen, um in drei Jahren von Ihren Schulden befreit zu werden (Restschuldbefreiung). Eine der relevanten Fragen in diesem Zusammenhang lautet: Kann ich in oder trotz einer Insolvenz selbstständig tätig bleiben? Und über diese Frage gelangt man dann schnell zum Thema der sogenannten Freigabe des Geschäftsbetriebs aus der Insolvenzmasse. Diese Freigabe ist wiederum mit der Obliegenheit verbunden, die Gläubiger so zu stellen, als würde man Bezüge aus einem dem erlernten Beruf angemessenen Arbeitsverhältnis erhalten.
Wie hieraus leicht zu ersehen ist, sind die gesetzlichen Regelungen recht komplex, sodass es in solchen Fällen einer rechtlichen Beratung bedarf. Eine Rechtsberatung kostet jedoch Geld, und im Vorfeld einer Insolvenz sind die finanziellen Mittel hierfür meist nicht ausreichend vorhanden. Auf der Grundlage von Beratungshilfe einen zeitnahen Termin beim Fachanwalt zu bekommen, ist auch nicht einfach.
Vor diesem Hintergrund und als Ergebnis meiner beruflichen Erfahrung neige ich dazu, die eingangs gestellte Frage mit Nein zu beantworten. Die rechtlichen Regelungen werden immer spezieller, und das Netz, das sich dadurch entspinnt und in dem wir uns als Bürger zurechtfinden sollen und müssen, wird immer enger.
Zugang zum Recht bedeutet, dass ich mich über meine rechtliche Situation und die hieraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten fachkundig informieren lassen kann. Ich muss es verstehen können. Aber in dieser Hinsicht gelten nicht für alle die gleichen Voraussetzungen, was für die Akzeptanz des Rechtsstaates keine gute Basis darstellt. Am Beispiel des Steuerrechts könnte man dieses Thema weiter vertiefen, aber das würde an dieser Stelle zu weit führen.
27. August 2024
Gewohnheiten in Frage stellen
Eine Insolvenz eines Unternehmens sollte für die Geschäftsführung/Unternehmensinhaber mit den Gedanken verbunden sein: Woran hat es gelegen, dass diese Situation eingetreten ist? Und wenn diese Frage beantwortet ist: Wie kann ich so etwas zukünftig vermeiden?
Demgegenüber steht der Aspekt, den wir beschreiben mit Sätzen wie: „der Mensch ist ein Gewohnheitsstier“ – und möglichen Gedanken wie diesen: in dem bisherigen Beruf mit dem mir bekannten persönlichen Umfeld und den Abläufen, die ich kenne, arbeite ich seit vielen Jahren. Das Unternehmen stellt die wirtschaftliche Grundlage für das Familieneinkommen dar. Das soll doch bitte auch trotz einer Insolvenz zukünftig zu bleiben.
Und umgesetzt werden kann dieses Ziel durch eine Unternehmensneugründung nach dem Insolvenzereignis, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Erwerb der Vermögenswerte aus der Insolvenzmasse (sogenannte übertragende Sanierung). Diese Neugründungen müssen sich nicht immer über GmbHs abspielen. Nicht selten ist der Umstand, dass sich ein Mitglied der Familie als zukünftiger Unternehmensinhaber zur Verfügung stellt und sich damit in das Risiko des „weiter so“ begibt.
Wenn man an dieser Stelle so weiter macht wie bisher und damit wie vor der Insolvenz, ist dies oft kein Neustart mit Erfolgsaussicht. Denn notwendig für einen Neustart ist, dass die Situation, die zur Insolvenz geführt hat, analysiert wird. Hierfür braucht es einen offenen Blick und Gesprächspartner und die Bereitschaft, aus Vergangenem zu lernen.
Jedem, der in einer derartigen Situation kommt, sei gewünscht, dass es ihm dies gelingt.
5. September 2024
Fortsetzung zu: Gewohnheiten in Frage stellen
Über dieses Thema hatte ich am 27. August in diesem Tagebuch geschrieben. Danach ist ein „weiter so“ mit der unternehmerischen Tätigkeit nach einer Insolvenz nachvollziehbar - mitveranlasst aus Gewohnheit, die das Leben einfacher macht.
Das Ereignis einer Unternehmensinsolvenz kann dabei die aktuelle Situation, in der man sich befindet, auch positiv infrage stellen: Ich werde gezwungen bzw. habe die Möglichkeit, neu anzufangen und mir Fragen zu stellen wie: Gibt es etwas, was ich schon immer einmal machen wollte, aber aus der Gewohnheit eben nicht versucht oder begonnen habe? Gibt es Dinge, die ich in meinem Leben, insbesondere in meiner Jugend, gerne gemacht habe und die im Zuge der beruflichen Pflichten und Gewohnheiten in den Hintergrund gerückt sind, wo sie meines Erachtens gar nicht hingehören?
Bei aller Sorgen, die Insolvenzereignisse für die Beteiligten mit sich bringen, können dies hilfreiche Fragestellungen seien. Niemand wird sie für sich alleine im Zwiegespräch beantworten können. Hilfreich ist es, hierzu jemanden zu finden, der einem zuhört und mit dem man diese Gedanken austauschen kann.
Das chinesische Wort für Krise setzt sich aus den Schriftzeichen für Gefahr und Chance zusammen. So ist es Veröffentlichungen zu entnehmen, die ich an dieser Stelle nur erwähnen kann, ohne dass mir hierzu eine Überprüfung möglich ist, da ich keine Kenntnis der chinesischen Sprache habe. Wenn es denn stimmt: Etwas Wahres ist dran.
17. September 2024
„Menschliche“ Insolvenzursachen
Wird ein Insolvenzantrag über das Vermögen eines Unternehmens gestellt, beauftragt das Insolvenzgericht einen Sachverständigen mit der sogenannten Aufklärung des Sachverhaltes und unter anderem mit der Beantwortung der Frage, welche Aussichten gegebenenfalls für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens bestehen?
Mit dieser Aufgabe komme ich in ein Unternehmen und führe Gespräche mit der Geschäftsführung und den Mitarbeitern und erhalte die Auswertungen aus der Buchhaltung ausgehändigt und soweit sie vorhanden sind, Planzahlen für die Zukunft. Und auf der Grundlage dieser Erkenntnisse und einer Einschätzung der Mitbewerber, des Marktes und der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung ist festzustellen, worin die Krisenursachen liegen und wie sie abgestellt werden können und ob und wie es in einer daraus resultierenden veränderten Situation weitergehen kann. Dieses Ergebnis wird wiederum dargestellt in Zahlen.
Und hinter diesen Zahlen aus der Vergangenheit und den Zahlen Prognosen steht die Annahme, dass mit den Menschen, die in diesem Unternehmen arbeiten und dieses Unternehmen führen oder einer neuen Unternehmensführung diese Prognosen realisiert werden können.
Und hinter alldem steht der Faktor Mensch und ein damit verbundenes Fragezeichen. Denn es muss nicht nur die jeweils betreffende Person gewillt und in der Lage sein, diese Planungen mit umzusetzen. Erschwerend hinzukommt, dass dies auch im Zusammenspiel mehrerer und damit in dem jeweiligen Team der Mitarbeiter und Führung möglich ist. Die Synergien, die man sich bei Unternehmensfusionen verspricht und erhofft, kommen zumeist nicht in dem erwarteten Umfange zum Tragen. Eine Ursache hierfür ist der bereits erwähnte Faktor Mensch.
Gleiches gilt für die Frage der Sanierungsfähigkeit eines Unternehmens. Beispielhaft und in der Hoffnung, damit nicht in Klischees zu verfallen, möchte ich hierzu zwei Aspekte erwähnen:
- der „weltbester Alleskönner“ ist ein Risikofaktor für eine Insolvenz. Denn eine derartige Person reflektiert nicht das eigene Handeln und nimmt damit die eigenen Fehler und Schwächen nicht wahr und ist damit letztendlich beratungsresistent;
- der Generationswechsel in einem Familienunternehmen ist dann mit einem Risiko verbunden, wenn sich die Nachfolgegeneration verpflichtet sieht, in die Fußstapfen ihrer Vorfahren zu treten und sich einer gefühlten Familientradition beugt, obwohl das eigene Interesse und/oder die fachliche Eignung für die geschäftsführende Tätigkeit nicht vorhanden sind.
Unter anderem dies steht dann nicht schwarz auf weiß in einem Gutachten, sondern findet sich dezent dargestellt oder unausgesprochen in die Bewertungen einbezogen in den Ausführungen zu einer Fortführungsprognose wieder.
27. September 2024
Akzeptanz von und Umgang mit Krankheiten
Ein Insolvenzereignis erfasst in seinen Auswirkungen nicht nur die unmittelbar betroffenen Personen, sondern oft auch deren Familie. Auch hat es oft Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit. Denn die belastende Situation besteht zumeist bereits eine längere Zeit.
In dieser Situation der Belastung und der Verpflichtung, einen Insolvenzantrag zu stellen, befand sich ein Mandant. Zugleich war er aufgrund seiner psychischen Situation nicht mehr in der Lage, regelmäßig zu arbeiten und die dafür notwendigen Unterlagen und Informationen zeitnah zusammenzustellen. Ich habe mit ihm aufgrund dessen besprochen, in welchen kleinteiligen Schritten die Vorbereitungen für den Insolvenzantrag erfolgen können und wie wir die Situation so organisieren und vorbereiten, dass ein zukünftiger Gutachter in einem Insolvenzeröffnungsverfahren die notwendigen Informationen erhält, die er benötigt.
Im Zuge dessen entstand auf Seiten des Mandanten die Frage, wie denn der Gutachter und das Insolvenzgericht darauf reagieren werden und damit wie sie mit mitgeteilten Situation der psychischen Erkrankung umgehen werden: ob diese akzeptiert und berücksichtigt werde. Wir beide, der Mandant und ich, stellten uns die weitere Frage, wie denn die Situation zu bewerten wäre, wenn der Mandant mitteilen würde, dass er körperlich erkrankt sei und aufgrund dessen in seiner Arbeitskraft und seiner Mitwirkung eingeschränkt sei, zum Beispiel der Geschäftsführer, der den Insolvenzantrag stellen muss, herzkrank ist und daher nur wenig belastbar und sich regelmäßig in stationäre Krankenhausbehandlung begeben muss. An dieser Stelle kamen wir zu dem Ergebnis, dass es auch weiterhin eine unterschiedliche Akzeptanz von körperlichen Erkrankungen und psychischen Erkrankungen gibt. Allein der Umstand, eine psychische Erkrankung mitzuteilen, kostet sehr viel mehr Überwindung als über seinen körperlichen Gesundheitszustand zu berichten.
Der burn-out und damit derjenige, der über seine Leistungsgrenzen hinausgegangen ist, ist in unserer Leistungsgesellschaft akzeptiert. Darüber hinaus ist die notwendige Akzeptanz (noch nicht) vorhanden.
10. Oktober 2024
Dinge, die ich nicht mag
erledige ich später und mit einem möglichen innerlichen Widerwillen ohne großes Engagement. Von Handwerkern, Technikern und Unternehmensinhabern aus Branchen, in denen die Kreativität der Tätigkeit im Vordergrund steht, erhalte ich als eine Erklärung zur eingetretenen Insolvenz immer wieder Sätze wie: „Ich bin doch ein Handwerker, Techniker … Und der ganze Bürokram und die kaufmännischen Dinge, das ist noch nie meine Welt gewesen.“ Und dann kann es noch den Zusatz geben: „Ich bin davon ausgegangen, dass sich mein Steuerberater darum kümmert.“
Die Buchhaltung, die der Steuerberater für seine Mandanten erstellt, ist immer nur so gut, wie die Informationen und Unterlagen, die er von seinen Mandanten erhält. Und die Buchhaltung des Steuerberaters stellt immer nur die Vergangenheit dar und dies mit einer zeitlichen Verzögerung.
Ich bin als Unternehmer verantwortlich für alle Aspekte meines Unternehmertums, auch die ungeliebten. Für das, was ich nicht mag und auch nicht tun möchte, muss ich mir Personen suchen, die dies erledigen. Diese Delegation darf sich nicht auf ein „Aus den Augen, aus dem Sinn“ beschränken, sondern muss beinhalten, dass ich als Unternehmer mir die Ergebnisse dieser Arbeit regelmäßig vorlegen lasse. Auch muss ich sie mit den Mitarbeitern, die sie erledigen, weil sie an dieser Arbeit Spaß haben, erörtern. Mit dem Ergebnis muss ich mich als Unternehmer wieder selbst beschäftigen.
In diesem Zusammenhang ein kurzer Abstecher in die rechtliche Situation: Der Bundesgerichtshof erwartet von Geschäftsführern einer GmbH, dass sie in Krisenzeiten in je nach Intensität der Krise jeweils kürzeren Zeiträumen eine Liquiditätsplanung erstellen, um die Frage der Zahlungsfähigkeit und Fortführungsprognose regelmäßig zu überprüfen. Damit muss sich ein Geschäftsführer einer GmbH - alleine aus Haftungsgründen - zwangsweise beschäftigen.
Und letztlich folgt aus diesen Ausführungen das, was ich mir als Unternehmer für eine erfolgreiche Unternehmensführung wünsche: Ein Team, in dem jeder das macht, was ihn erfüllt und dies in jeweils unterschiedlichen Bereichen, wobei die unterschiedlichen Charaktere der Teammitglieder die Diskussion untereinander bereichern und damit zu Ergebnissen führen, die das Unternehmen voranbringen.
21. Oktober 2024
„Wie Ihnen bekannt ist, lief die Übergangsregelung des Wohn- und Teilhabegesetzes Nordrhein-Westfalen am 31.07.2023 aus.“
Mit dieser Einleitung in der Begründung werden Ordnungsverfügungen an Senioren- und Pflegeheime versandt. Und was muss hier bekannt sein? Bekannt sein muss die gesetzliche Vorgabe in diesem Gesetz der Wohn- und Teilhabe, wonach ab dem 01.08.2023 der Anteil von Einzelzimmern in Senioren- und Pflegeheimen bei mindestens 80 % liegen muss. Und die Heimbetreiber, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, erhalten eine Ordnungsverfügung, solange keine frei werdenden Plätze in ihrem Heim neu zu belegen, bis sie diese Quote erfüllen, indem aus der Doppelzimmerbelegung eine Einzelzimmerbelegung geworden ist.
In dem gleichen Maße, indem durch dieses Belegungsverbot die Einnahmen sinken, können die Fixkosten in den Heimen nicht reduziert werden. Infolgedessen führen derartige Ordnungsverfügungen letztendlich zur Insolvenz dieser Senioren-im Pflegeheime, die diese Verfügung erhalten. Da die Immobilien, in denen diese Heime betrieben werden, nicht kurzfristig umgebaut und erweitert werden können, wird es auch in Zukunft nach der Insolvenz dort keinen Heimbetrieb geben können, der zu einem wirtschaftlichen Gewinn führt.
Dies bedeutet: Diese Heimplätze fallen unwiederbringlich weg. Und wenn es in der betreffenden Region keine freien Heimplätze gibt, werden die älteren Menschen, die bisher in diesem Heim gewohnt haben, zukünftig von und in ihren Familien versorgt werden müssen - wenn sie denn eine Familie haben. Möglicherweise wäre für sie ein Doppelzimmer in einem Seniorenheim, das die 80-prozentige Einzelzimmerquote nicht erfüllt, besser gewesen.
Und für die Heimbetreiber wird deutlich, dass der Umstand, auf Zuwendungen aus öffentlichen Kassen angewiesen zu sein, mit einem nicht kalkulierbaren Risiko verbunden ist. Denn niemand kann vorher sagen, welche Regelungen als Nächstes folgen und wie sich diese auf den einzelnen Betreiber, sei es eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus oder ein Seniorenheim auswirken. Es sei jedem zu wünschen, dass ihn eine derartige Situation niemals ereilt.
3. November 2024
Alle Insolvenzgläubiger sind gleich… und einer ist gleicher als die anderen
Zwei Ziele, die mit der Insolvenzordnung erreicht werden, sollen bzw. sollten, sind: Die gleiche gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger und die Möglichkeit, aus einer wirtschaftlichen Krise über eine Restschuldbefreiung einen Neustart beginnen zu können.
Die Insolvenzordnung ist seit ihrem Inkrafttreten vielfach geändert worden und die Rechtsprechung hierzu hat sich weiterentwickelt. Im Zuge dessen ist man von dem Weg, diese vorgenannten Ziele zu erreichen, abgewichen und hat ein weiteres Ziel ins Auge gefasst: Der Staat bzw. der Fiskus ist gleicher als die anderen Gläubiger.
Dies möchte ich Ihnen an zwei Beispielen verdeutlichen: Von der sogenannten Restschuldbefreiung ausgenommen sind Schulden, die im Zusammenhang mit einer Steuerstraftat stehen. Und auch die Nichtabführung der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung stellt einen Straftatbestand dar und führt dazu, dass diese Beiträge auf entsprechenden Antrag der Krankenkassen von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden. Der mit der Insolvenzordnung gewünschte Neustart für ehemals unternehmerisch tätige Personen ist damit um diese Verbindlichkeiten, die trotz Restschuldbefreiung fortbestehen, belastet.
Die Gleichheit neben allen anderen Gläubigern behagte dem Fiskus grundsätzlich nicht. Diese Gleichheit aller Gläubiger bedeutet, dass alle Verbindlichkeiten aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung eine Insolvenzforderung sind, auf die alle Gläubiger eine gleiche Insolvenzquote erhalten. Dies galt in der Vergangenheit auch für die Umsatzsteuer und hat ein Ende mit einer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes gefunden. Mit einer Begründung, die ich Ihnen an dieser Stelle ersparen möchte, stellt die Umsatzsteuer für Einnahmen, die der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Insolvenzverwalter erzielen, eine sog. Masseverbindlichkeit (und somit keine Insolvenzforderung) dar, die zu begleichen ist - unabhängig davon, wann die zugrunde liegende Leistung erbracht wurde.
Im Ergebnis ist leider festzustellen, dass das, was ursprünglich mit der Insolvenzordnung einmal bezweckt war, nur noch in Grenzen erreicht wird.
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