Der Mandant in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – eine Erinnerung für Steuerberater

Die aktuellen Prognosen zeigen das Bild einer in diesem Jahr schrumpfenden deutschen Wirtschaft. Die Zeit der Liquiditätshilfen durch staatliche Coronahilfen und Coronakredite sind vorüber. Die Steuerberater werden die daraus resultierende wirtschaftliche Situation Ihrer Mandantin zukünftig im Zuge der Erstellung der Buchhaltung und der Jahresabschlüsse erkennen können.

Und im Hinblick auf dieses „Erkennen Könnens“ möchte ich den Steuerberatern die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 26.01.2017 (NZI  2017, 312) zu den Hinweispflichten eines Steuerberaters in Erinnerung rufen. Ich möchte mit dieser Darstellung die konkreten Einzelheiten hierzu wieder nach vorne in das Bewusstsein bringen.

Der Bundesgerichtshof benennt in dieser Entscheidung zwei Gründe, aus denen eine Haftung des Steuerberaters resultieren kann:

  • wenn zu Unrecht bei der Erstellung eines Jahresabschlusses Fortführungswerte zugrunde gelegt werden und der Steuerberater diesen Mangel des von ihm erstellten Jahresabschlusses zu vertreten hat;
  • und/oder wenn er seine Hinweis- und Warnpflichten gegenüber der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft verletzt hat.

Mangelhafte Bilanzierung zu Fortführungswerten

Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung in § 252 HGB, wonach bei der Jahresabschlussbewertung grundsätzlich von der Unternehmensfortführung (Fortführungs- oder going concern Prinzip) auszugehen ist. Nur in begründeten Ausnahmefällen ist hiervon abzuweichen. Objektiv falsch ist die Bilanzierung zu Fortführungswerten daher nur dann, wenn zum maßgebenden Zeitpunkt der Prognoseentscheidung feststeht, dass die Unternehmenstätigkeit bis zum Ablauf des Prognosezeitraumes aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eingestellt wird.

Und an dieser Stelle muss sich ein Steuerberater folgende Fragen stellen: Was weiß ich über meine Mandanten? Stellt das, was ich weiß, die Fortführung der Gestalt infrage, dass die Fortführungsprognose negativ ist?

Die Aspekte, die eine Fortführung infrage stellen können, zählt der BGH in seinem Urteil vom 26.01.2017 (Rz. 28) auf:

  • wenn das Unternehmen in der Vergangenheit keine Gewinne erwirtschaftet hat,
  • nicht leicht auf finanzielle Mittel zurückgreifen kann,
  • und eine bilanzielle Überschuldung droht oder sogar schon eingetreten ist.

Dann besteht (wörtlich aus dem Urteil zitiert) „angesichts der daraus folgenden Insolvenzgefährdung zunächst keine ausreichende Wahrscheinlichkeit, dass sich das Unternehmen außerhalb eines Insolvenzverfahrens fortführen lässt.“

Es kann aber trotz eines Insolvenzgrundes handelsrechtlich eine Bilanzierung nach Fortführungswerten zulässig sein, wenn ein glaubhafter Fortführungsinsolvenzplan vorliegt, eine übertragende Sanierung innerhalb des Prognosezeitraumes angestrebt wird und möglich ist. Hierzu heißt es dann in dem Urteil (Rz. 28): „Dies erfordert eine komplexe Prognose über die Gesamtsituation des Unternehmens“. Um es klarer zu formulieren: Wenn man im Falle des Vorliegens eines Insolvenzgrundes nach Fortführungswerten im Hinblick auf eine positive Fortführungsprognose bilanziert, müssen die Darlegungen hierzu hieb und stichfest sein – oder salopper benannt: Dann bewegt man sich auf dünnem Eis und dies insbesondere vor dem Aspekt, dass im Nachhinein immer alle schlauer sind.

Möglichkeiten für den Steuerberater zur Haftungsvermeidung

Was muss nun der Steuerberater tun, wenn er diese Anhaltspunkte, die gegen eine Fortführung des Unternehmens sprechen, kennt?

  • Er ist nicht verpflichtet, über die Unterlagen und das, was er weiß, hinaus Nachforschungen oder Untersuchungen anzustellen.
  • Er ist auch nicht verpflichtet, eine Fortführungsprognose selbst zu erstellen.
  • Er muss aber die seines Erachtens bestehenden Zweifel an der Fortführungsfähigkeit konkret (und nicht nur generell) unter Benennung der entsprechenden Indizien dem Mandanten im Detail mitteilen und auf die Erstellung einer Fortführungsprognose, beauftragt durch den Mandanten gegenüber Dritten, hinwirken. Und wenn diese Prognose vorliegt, so ist sie vom Steuerberater auf Plausibilität zu prüfen.

Eine Bilanzierung nach Fortführungswerten ist damit nur noch dann vorzunehmen, wenn die Gesellschaft eine explizite Fortführungsprognose erstellt hat, aus der sich ergibt, dass im Prognosezeitraum eine Insolvenz ausgeschlossen erscheint.

Es verbleibt die Frage, ob ein vom Steuerberater erstellter Jahresabschluss mangelfrei ist, wenn Zweifel an der Fortführungsvermutung bestehen und der entsprechende Hinweis durch den Steuerberater erfolgt ist und dann die Anweisung der Gesellschaft erfolgt, gleichwohl die handelsrechtliche Bilanz mit Fortführungswerten zu erstellen. Der Bundesgerichtshof bejaht dies in seiner Entscheidung vom 26. 1. 2017 (Rz. 38). In der Literatur (Pape NZI 2019, 260, 263) wird diese Bewertung nicht geteilt, da der Schuldner eine derartige Bilanz auch gegenüber Dritten verwenden könne, um damit eine nicht mehr mögliche Unternehmensfortführung vorzutäuschen.

Demnach ist das Mandat niederzulegen, wenn die konkreten Zweifel durch den Steuerberater gegenüber dem Mandanten geäußert werden und die Aufforderung zur Einholung einer Fortführungsprognose erfolgt ist und diese Aufforderung auf Seiten der Mandantschaft ohne Reaktion bleibt.

Hinweis- und Warnpflicht aus dem allgemeinen Mandat

Von ebenso praktischer Relevanz ist der Umstand, dass Hinweis- und Warnpflichten bestehen, wenn der Steuerberater aus dem Mandat einen Insolvenzgrund erkennt und für ihn ernsthafte Anhaltspunkte für einen möglichen Insolvenzgrund offenkundig sind und er annehmen muss, dass diese mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist.

Aspekte, aufgrund derer diese Zweifel auftreten können sind erhebliche Verluste, eine zu geringe Eigenkapitalausstattung, Liquiditätsschwierigkeiten, bilanzielle Überschuldung (Mielke, DStR 2017, 1060, 1064).

Und bei Kenntnis von Liquiditätsschwierigkeiten beginnt ein weiteres Minenfeld für Steuerberater: das der Anfechtung von erhaltenen Honoraren durch einen Insolvenzverwalter. Denn die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit ist einer der Aspekte, die zu einer Anfechtung führen können. Und dabei befindet sich der Steuerberater in der erschwerten Situation, dass er als eine sogenannten nahestehende Person im Sinne von § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO angesehen werden kann und damit als jemand, der die Möglichkeit hat, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu informieren. Zulasten von nahestehenden Person gibt es dann wiederum gesetzliche Vermutungswirkungen.

Resume

Im Ergebnis bedeutet dieses Urteil für Steuerberater:

  • die Aspekte, die gegen eine Fortführungsprognose des Mandanten bestehen, bewusst zur Kenntnis nehmen (müssen) – und nicht zu verdrängen;
  • und aus Eigenschutz vor einem ansonsten bestehenden Haftungsrisiko den Mandanten mit dieser unangenehmen Wahrheit konfrontieren zu müssen (auch auf die Gefahr hin, dass damit das Mandat endet).
  • Und die konkreten Hinweise, die gegenüber dem Mandanten erfolgen, und die damit verbundenen Schreiben, E-Mails und Aktenvermerke über Gespräche zu dokumentieren und aufzubewahren.

Dann kann die Haftung vermieden werden und muss sich ein Steuerberater nicht mit den Folgefragen zum Mitverschulden des Geschäftsführers, Schadensberechnung, Schutzwirkung des Vertrages mit der GmbH zu Gunsten des Geschäftsführers und ähnlichem auseinandersetzen.

Für Rückfragen zu dieser Thematik stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Sie erreichen mich unter lange@dhk-law.com.

Ihr Carsten Lange
Fachanwalt für Insolvenzrecht