Haftung der Geschäftsführung bei verspäteter Insolvenzantragsstellung: Neuregelung in § 15b InsO

Eine der relevanten Fragestellungen von Geschäftsführern in der zeitlichen Nähe zu einem Insolvenzantrag lautet: Was kann mir passieren? Wofür hafte ich als Geschäftsführer?

Neben der strafrechtlichen Thematik besteht das Risiko einer Ersatzpflicht des Geschäftsführers gegenüber der insolventen Gesellschaft, bzw. deren Insolvenzverwalter. Die Norm, die dies für die GmbH regelte, befand sich in § 64 GmbHG. Das Haftungsrisiko besteht aufgrund des Haftungsgrundsatzes, wonach alles, was nach einer Insolvenzreife aus dem Vermögen der GmbH abgeflossen ist, durch die Geschäftsführung zu ersetzen ist.

Diese Haftung ist nunmehr rechtsformneutral und damit für alle in Betracht kommenden Rechtsformen und Vertreter neu geregelt in § 15b InsO.

Ich möchte Ihnen nachfolgend die Struktur dieser Haftungsnorm skizzieren und damit das Regel-Ausnahmeverhältnis, das hierzu gilt.

I. Grundsatz

Es verbleibt auch in der gesetzlichen Neuregelung des § 15 b InsO bei dem Grundsatz der sogenannten Massesicherungspflicht und damit dem Umstand, dass Geschäftsleiter juristischer Personen und haftungsbeschränkter Personengesellschaften nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung grundsätzlich keine Zahlungen mehr für die Unternehmung vornehmen dürfen.

Zu diesem Grundsatz gibt es sodann – auch weiterhin – die bereits aus § 64 S. 2 GmbHG bekannte Ausnahme: „Dies gilt nicht für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.“

Als positives Anwendungsbeispiel für diese Ausnahmeregelung werden in § 15b Abs. 2 S. 1 die Zahlungen erwähnt, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen. Zu dieser Ausnahmeregelung gibt sodann ein „großes Aber“, wonach dies nur während des Zeitraumes, der für die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO gilt. Dies sind:

– Max. drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit;

– und max. sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung.

In dieser Zeit darf man als Geschäftsführer nicht untätig bleiben, denn die Sorgfaltsvermutung gilt nur so lange Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung des Insolvenzantrages betrieben werden.

Ein weiteres Beispiel für eine sorgfaltsgemäße Zahlung findet sich in § 15b Abs. 2 S. 2 InsO für den Zeitraum des Insolvenzeröffnungsverfahrens und damit zwischen Antragstellung und Verfahrenseröffnung. Wenn in diesem Zeitraum Zahlungen mit der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters vorgenommen wurden, gelten sie als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar – und unterliegen damit dem Ausnahmefall von einer Ersatzpflicht der Geschäftsführung.

Eine umgekehrte Vermutung, wonach Zahlungen in der Regel nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, gibt es in § 15b Abs. 3 InsO für den Fall, dass der Zeitraum für die rechtzeitige Antragstellung (§ 15a InsO) verstrichen ist und ein Antrag nicht gestellt wurde. In dieser Situation sind Zahlungen nur noch in besonderen Ausnahmefällen mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers vereinbar. Beispiele hierfür dürften die Notgeschäftsführung zum Schutze verderblicher Waren oder zur Vermeidung von Schadensvergrößerungen sein.

Die neue gesetzliche Regelung differenziert damit hinsichtlich des Regel-Ausnahmeverhältnisses zur Ersatzpflicht zwischen den Zeiträumen bis zum Beginn der Insolvenzantragspflicht und während der Insolvenzantragspflicht und nach einer versäumten Insolvenzantragspflicht.

II. Umfang der Ersatzpflicht

An dieser Stelle ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zulasten der Geschäftsführung – bezogen auf die bisherige gesetzliche Regelung in § 64 GmbHG – sehr weitgehend. Begründet wird dies damit, dass es sich bei der Ersatzpflicht der Geschäftsführung nach § 64 GmbHG um einen Anspruch eigener Art handele – und nicht um einen Schadensersatz.

Damit führen die unterschiedlichen Ansichten hierzu immer dann zu unterschiedlichen Ergebnissen, wenn einem Vermögensabfluss in Form einer Zahlung damit in Zusammenhang zu bringende Vermögenszuflüsse gegenüberstehen. Ist nur auf die das Vermögen mindernde Zahlung abzustellen oder in einer Gesamtbetrachtung auf eine Differenzberechnung nach Grundsätzen der Schadensbezifferung? Der Bundesgerichtshof gibt auf der Grundlage der Bewertung nach § 64 GmbHG der ersten Alternative den Vorzug.

Zu dieser Thematik heißt es nunmehr – in Veränderung der bisherigen gesetzlichen Regelung – in § 15b Abs. 4 S. 2 InsO: „Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens.“

Demnach bleibt der Anspruch ggü. einem Geschäftsführer grundsätzlich auf den Ersatz der verbotswidrigen Zahlung gerichtet. Dem Geschäftsführer ist nunmehr aber der Einwand möglich, dass der Gläubigergemeinschaft ein geringerer Schaden entstanden ist und daher die Grundsätze der Schadensberechnung und somit der Berücksichtigung von Vermögenszuflüssen Anwendung finden.

III. Verzicht und Vergleich mit dem Ersatzpflichtigen Geschäftsführer

Grundsätzlich sind nach § 15b Abs. 3 S. 4 InsO ein Verzicht oder ein Vergleich im Hinblick auf Erstattung und Ersatzansprüche mit dem Geschäftsführer unwirksam. Eine Ausnahme gilt, wenn folgende Voraussetzungen insgesamt vorliegen:

– Die Zahlungsunfähigkeit des erstattungspflichtigen Geschäftsführers;

– Ein Vergleich, der zur Abwendung eines eigenen Insolvenzverfahrens des Geschäftsführers mit seinen Gläubigern dient;

– Und dass der Vergleich entweder im Insolvenzplan geregelt ist oder mit einem Insolvenzverwalter für die juristische Person abgeschlossen wird.

Damit verbleibt es einem ersatzpflichtigen Geschäftsführer möglich, auch ohne ein Insolvenzverfahren über das eigene Vermögen, einen Vergleich hinsichtlich seiner Ersatzpflicht mit dem Insolvenzverwalter der insolventen Firma zu vereinbaren. Notwendig wird aber zukünftig sein, dass in dem Vergleichsschluss die Zahlungsunfähigkeit des erstattungspflichtigen Geschäftsführers und der Umstand der Abwendung eines eigenen Insolvenzverfahrens dargelegt und damit ausdrücklich benannt werden.

IV. Sonderfall der steuerrechtlichen Ersatzpflicht

Neu aufgenommen in diese zivilrechtliche Norm ist in § 15b Abs. 8 InsO eine Regelung zur Ersatzpflicht bei Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten:

1.
Es besteht keine steuerrechtliche Ersatzpflicht des Geschäftsführers, wenn

– zwischen Eintritt der Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung und damit dem Vorliegen des Insolvenzgrundes und der Insolvenzeröffnung die Ansprüche aus Steuerschuldverhältnissen nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden;

– und wenn der Antrag nach § 15a InsO auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtzeitig gestellt wird.

2.
Eine Einschränkung gilt für den verspätet gestellten Insolvenzantrag. In diesem Fall wird eine Ausnahme für eine steuerrechtliche Ersatzpflicht nur angenommen für steuerrechtliche Ansprüche, die nach Anordnung der Sicherungsmaßnahmen (z.B. Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters) fällig werden.

3.
Keine Ausnahme von der steuerrechtlichen Ersatzpflicht besteht, wenn

– das Insolvenzverfahren nicht eröffnet wird;

– und dies auf eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers als Antragsteller zurückzuführen ist.

V. Bewertung aus der Sicht der Geschäftsführer

Im Ergebnis regelt diese neue Haftungsnorm des § 15 b InsO einzelne Sachverhaltenskonstellationen – insbesondere im zeitlichen Hinblick – in ihrem Gesetzestext präziser als bisher in § 64 GmbHG. Es war bereits in der Vergangenheit die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, dass eine Zahlung, die nach Antrags-losem Ablauf der Frist zum Insolvenzantrag erfolgt ist, nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar ist – und damit die Ausnahmeregelung zugunsten der Geschäftsführung nicht greifen kann. Jetzt steht dies ausdrücklich im Gesetzestext – und wird damit zum Schutze der Geschäftsführer – hoffentlich – Mahnung und Aufforderung genug sein.

Denn für denjenigen Geschäftsführer, der dem Grunde nach wegen Insolvenzverschleppung haftet und sich nicht auf die vorbenannte Ausnahme berufen kann, fällt jede Zahlung aus dem GmbH-Vermögen in den „Haftungskorb“.

Positiv aus der Sicht potenziell haftender Geschäftsführer ist in der gesetzlichen Neuregelung, dass der Grundsatz der Schadensberechnung nunmehr Berücksichtigung findet und damit zu einer tendenziell geringeren Höhe der Ersatzpflicht der Geschäftsführung führen kann.

Es verbleibt jedoch bei der grundsätzlichen Bewertung, dass diese Geschäftsführerhaftung auch weiterhin für die Geschäftsführer ein Gefahrenpotenzial mit sich bringt -mit der Folge, dass die Insolvenzanträge zum eigenen Schutz der Geschäftsführer rechtzeitig gestellt werden sollten. Dieser letztgenannte Hinweis entspricht nicht der gelebten Praxis, wonach die überwiegende Anzahl der Insolvenzanträge verspätet erfolgen.

Insofern mögen die vielfältigen Änderungen zum Insolvenzrecht und das neue Gesetz zur Restrukturierung an dieser Stelle einen neuen Aufruf für ein hierzu verändertes Verhalten mit sich bringen.

Soweit Sie zu diesem Thema der Geschäftsführerhaftung bei verspäteter Insolvenzantragstellung Fragen und/oder einen Beratungsbedarf haben, melden Sie sich gerne. Sie erreichen mich per E-Mail unter lange@dhk-law.com oder telefonisch über meine Mitarbeiterin Frau Koll unter 0241 / 94621-138.

Carsten Lange

Fachanwalt für Insolvenzrecht

Mediator/Wirtschaftsmediator (DAA), Coach