Start-up-Geschäftsführer und die Insolvenzantragspflicht
Wenn sich Geschäftsführer von Start-up-Firmen mit dem Thema der Insolvenzantragspflicht beschäftigen müssen, so lautet oft eine Frage, die sie sich stellen werden:
Ist die Zusage oder die Erwartung, weitere finanzielle Mittel aus dem Gesellschafterkreis für das Unternehmen zu erhalten, so wahrscheinlich und verbindlich, dass dieser Betrag in eine Liquiditätsplanung eingestellt werden kann und damit Grundlage für eine positive Fortführungsprognose sein kann?
I. Situation von start-up Unternehmen
Um diese Frage geht es in diesen Ausführungen und in einem Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20.07.2021 (ZIP 2021, 1665 ff.). Die Situation in Start-up-Unternehmen in der Gründungsphase ist oft wie folgt identisch:
- Es wird Geld aus dem Gesellschafterkreis für Investitionen benötigt. In dem Fall, den das OLG Düsseldorf zu entscheiden hatte, geschah dies für die Entwicklung einer Software für eine Automobilbörse.
- Die Gesellschafter stellen hierfür über einen gewissen Zeitraum die notwendigen finanziellen Mittel, unter anderem als Darlehen, zur Verfügung.
- Und es gibt immer wieder den für Geschäftsführer ungeliebten Zeitpunkt, in dem absehbar ist, dass die Liquidität nicht ausreichen wird, um die Investitions- und Entwicklungsarbeit fortzusetzen.
- Demgegenüber stehen positive Absichtserklärungen aus dem Gesellschafterkreis, auch zukünftig finanzielle Mittel zur Fortsetzung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens zur Verfügung zu stellen.
- Die Aussage der Gesellschafter gegenüber der Geschäftsführung lautet „Mach weiter“ und im Hinterkopf der Geschäftsführung kreist der Gedanke über eine Insolvenzantragspflicht.
II. Wann darf weiter gemacht werden?
Wann darf dem Wunsch bzw. der Aufforderung der Gesellschafter, weiterzumachen gefolgt werden?
In dem Fall, den das Oberlandesgericht Düsseldorf zu entscheiden hatte, sah der Zeitablauf wie folgt aus: Seit Juli 2014 wurden aus dem Gesellschafterkreis Darlehen zur Verfügung gestellt, die sich bis Ende 2015 auf 608.000 € beliefen. Noch am 20. Juli 2016 war ein weiteres Darlehen in Höhe von 40.000 € gewährt worden. Im September 2016 entzog der betreffende Darlehensgeber der Unternehmung seine Unterstützung. Als Grund hierfür benennt das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss, dass im September 2016 aufgrund einer neuen Vertragssituation mit einem Lieferanten eine Anpassung des Businessplans erforderlich wurde, was letztendlich zu einem schlechteren Ergebnis geführt habe.
Der Geschäftsführer des Start-up-Unternehmens stellte am 14.10.2016 einen Insolvenzantrag. Der Insolvenzverwalter will den Geschäftsführer nunmehr aus Geschäftsführerhaftung wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch nehmen und vertritt hierzu folgende Ansicht: Es habe allenfalls eine Hoffnung auf Seiten des Start-up-Unternehmens bestanden, auch zukünftig wieder Darlehen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Auf dieser Grundlage habe keine Prognose für die Zukunft getroffen werden können. Aufgrund negativer Fortbestehensprognose und rechnerischer Überschuldung habe eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorgelegen. Der Insolvenzantrag sei nicht rechtzeitig zum Zeitpunkt des Eintrittes der Überschuldung gestellt worden.
III. Insolvenzrechtliche Überschuldung und Fortbestehensprognose
Ein Geschäftsführer einer GmbH ist zur Stellung eines Insolvenzantrages verpflichtet, wenn einer der Insolvenzgründe vorliegt. Die Insolvenzgründe sind die der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung. Eine Überschuldung liegt dann nicht vor, wenn die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.
Letzteres ist wiederum der Fall, wenn aus einem aussagekräftigen und plausiblen Finanzplan eine Zahlungsfähigkeit des Unternehmens hervorgeht. Dann ist die sogenannte Fortbestehensprognose zu bejahen. Infolgedessen liegt keine insolvenzrechtliche Überschuldung vor. Und damit ist ohne diesen Insolvenzgrund die Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung zu verneinen (wenn die Firma zu diesem Zeitpunkt nicht zahlungsunfähig ist).
Von entscheidender Bedeutung für die Frage der Geschäftsführerhaftung ist damit die eingangs erwähnte Thematik, unter welchen Voraussetzungen zu erwartende finanzielle Mittel aus dem Gesellschafterkreis in diese Planrechnung eingestellt werden dürfen.
Mit diesen Voraussetzungen setzt sich das OLG Düsseldorf in seinem vorerwähnten Beschluss auseinander. Dabei folgt das OLG Düsseldorf nicht der Argumentation des Insolvenzverwalters, wonach im konkreten Fall allenfalls eine Hoffnung auf weitere Zahlungen bestanden hätte. Es werden vom OLG Düsseldorf Aspekte benannt, aufgrund derer liquide Mittel aus zu erwartenden Finanzierungen im Hinblick auf die Fortbestehensprognose berücksichtigt werden dürfen. Dies sind:
- Ein Verlassen dürfen
Wenn das Start-up-Unternehmen in der Vergangenheit regelmäßig wiederkehrende Finanzierungsleistungen in Form von Darlehen- und in diesem Fall über einen Gesamtbetrag von 608.000 € – erhalten habe, dürfe sich die Geschäftsführung darauf verlassen, dass bei Vorlage einer nachvollziehbaren Planung auch weitere Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden.
- Eine nachvollziehbare Planung
Den Umstand, dass die Planrechnung, wenn man per heute zurückschaut, möglicherweise zu optimistisch war, ist nach Ansicht des OLG Düsseldorf eine bei Start-up-Unternehmen nicht unübliche Situation. Denn die Prognosewahrscheinlichkeit ist in diesen Gründungsphasen von möglichen größeren Abweichungen zur späteren Ist-Situation geprägt. Daher sei nicht die mögliche Abweichung von der Prognose erheblich, sondern der Umstand, dass es seinerzeit keine Anhaltspunkte dafür gab, dass der späteren Insolvenzschuldnerin die Unterstützung aus dem Gesellschafterkreis für weitere Darlehen entzogen werden würde.
- Und damit kein Wahrscheinlichkeitsgrad von 100 % im Hinblick auf zukünftige Finanzierungsbeiträge
Aus diesen Einzelaspekten folgt, dass ein rechtlich gesicherter und damit einklagbarer Anspruch auf die Finanzierungsbeiträge nicht Voraussetzung für eine positive Fortbestehensprognose sei – denn dies würde einem Wahrscheinlichkeitsgrad von 100 % entsprechen. Die Fortführungsfähigkeit muss im Rahmen des § 19 InsO überwiegen, also zu mehr als 50 % wahrscheinlich sein.
IV. Konkrete Messlatte für start-ups
Dieser Beschluss des OLG Düsseldorf ist für Geschäftsführer von Start-up-Unternehmen hilfreich, weil er beide Endpunkte der Messlatte definiert:
- So muss eben kein rechtlich gesicherter, mit 100%-iger Wahrscheinlichkeit durchsetzbarer Anspruch auf weitere Finanzierungsmittel vorhanden sein, um diese in die Planrechnung einzustellen.
- Und auf der anderen Seite müssen zumindest zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Zum einen eine begründete Verlässlichkeit, warum man als Geschäftsführung damit rechnen darf, dass weitere finanzielle Mittel auch zukünftig zur Verfügung gestellt werden (obwohl es hierzu an einer verbindlichen einklagbaren Zusage fehlt).
- Und zum anderen müssen letztendlich die Bedingungen erfüllt sein, die ein Investor an die (weitere) Gewährung seiner Finanzierung knüpft. Im vorliegenden Fall war dies eine Planrechnung, wonach der zukünftige Liquiditätsbedarf im Prognosezeitraum abgedeckt ist.
Damit gibt es konkrete Ansätze für die Frage, ab wann eine Fortbestehensprognose bei start-up Unternehmen nicht mehr vorliegt und damit aufgrund eines Insolvenzgrundes der Überschuldung ein Insolvenzantrag zu stellen ist. Diese Bewertung durch das Oberlandesgericht Düsseldorf gilt nur für Start-Up-Unternehmen. Außerhalb dieser Gründungsphase sind die Voraussetzungen für die Verbindlichkeit von Finanzierungszusagen nicht von dieser vorgenannten Ausnahme geprägt. Auf andere Unternehmenssituationen verallgemeinern dürfen wir diese Entscheidung des OLG Düsseldorf also nicht.
Soweit Sie hierzu Fragen und Diskussionsbedarf haben, melden Sie sich gerne bei mir per E-Mail unter lange@dhk-law.com oder telefonisch über meine Mitarbeiterin, Frau Koll, unter der Telefonnummer 0241/94621-138.
Carsten Lange
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Mediator/Wirtschaftsmediator (DAA), Coach